Buchpremiere Andreas Montag: Der Geruch des Ostens

You are currently viewing Buchpremiere Andreas Montag: Der Geruch des Ostens
  • Beitrag veröffentlicht:30. September 2024

Wir feiern Buchpremiere von Andreas Montags neuer Erzählung „Der Geruch des Ostens“ (24.09.24) mit einer Lesung des Autors! Andreas Montag steuert ein wendiges Boot durch das Meer der Neuerscheinungen, die sich mit dem Leben in der DDR befassen und zu ergründen suchen, „was diese merkwürdigen Ostler wirklich ausmacht. Nennen wir es Stallgeruch. Doch, das passt. Im Guten wie im Bösen.“

Die Lesung findet mit musikalischer Begleitung von Ronja Strempek statt: Ein ruhiger und gefühlvoller Mix aus Folk, Soul und Liedermacherei, Gesangsompositionen auf deutsch und Englisch mit Gitarre. Tom Wolter, künstlerischer Leiter des WUK Theater Quartier, moderiert die Veranstaltung.
(Auszug aus dem Buch s.u.)

Der Geruch des Ostens

Ein Mann kehrt zurück in die thüringische Kleinstadt, in der er in den Sechzigern und Siebzigern aufgewachsen ist – ohne Vater (der die Familie gen Westen verlassen hatte), von Mutter und Großmutter streng erzogen. Das Geld war immer knapp, die Entbehrungen, die die Frauen während des Krieges und danach erleiden mussten, wurden dem Jungen oft deutlich vor Augen geführt.

Neben starken Bildern, wie dem von der eigenbrötlerischen Elfriede, die ein dunkles Geheimnis umweht, oder der Wut, mit der er sich an die verlogenen Märchen vom Sozialismus, die Versprechungen vom Aufbau eines „besseren Deutschland“ und an die Brutalität seiner tumben NVA-Vorgesetzten erinnert, ist sein Gedächtnis voll von einem Universum an Gerüchen – DDR-Gerüchen: Bohnerwachs und Bratkartoffeln, billige Kernseife und das Scheuerpulver Ata, Räuchermännlein zu Weihnachten oder der scharfe Geruch des Mottenpulvers, den ein ausgestopfter Braunbär im Naturkundemuseum verströmte. Dazu gehören auch die Begegnungen mit Sowjetsoldaten: ihre braunen, streng riechenden Uniformen, der Rauch ihrer selbstgedrehten Zigaretten, der sich mit dem Gestank des Treibstoffs ihrer Panzer mischte. Gerüche, untrennbar mit Ordnung, Disziplin und Obrigkeitsfurcht verbunden, olfaktorische Memorabilien einer versunkenen Zeit – wenig geeignet, sie zu verklären.

Termine und Tickets:

Montag, 07.10. – 20:30 Uhr
WUK Theater Quartier, Holzplatz 7a

Tickets: 7€/12€/Soli-Ticket 17€ (Freie Preiswahl)

Ticket-Special für Ersties: 5€ (mehr Infos hier)

Tickets erhältlich in unserem Online-VVK unter:
http://www.wuk-theater.de/karten
oder an allen Vorverkaufsstellen der Stadt

 

 

Weitere Informationen

Ausstattung: Hardcover mit Schutzumschlag
Seitenzahl: ca. 120
Format: 205 mm x 125 mm
ISBN: 978-3-96982-101-5
Erscheinungsdatum: 25.09.2024
Quintus Verlag
Weblink zum Buch: https://www.quintus-verlag.de/Der-Geruch-des-Ostens/978-3-96982-101-5

Biografie

Andreas Montag, 1956 in Gotha geboren, lebt als Journalist und Schriftsteller in Halle (Saale) und Berlin. Nach Ausbildung zum Bibliothekar und Studium am Literaturinstitut »Johannes R. Becher« in Leipzig arbeitete er als Packer, Patientenbetreuer im Krankenhaus, Bibliothekar und seit 1986 als Schriftsteller. 1990 nahm er am Ingeborg-Bachmann- Wettbewerb in Klagenfurt teil. Im selben Jahr wurde er Mitglied der Redaktion der Mitteldeutschen Zeitung in Halle (Saale), wo er seit 1996 Ressortleiter Kultur ist. Er ist Mitglied des PEN-Zentrums Deutschland. Er hat seit den späten 1980er Jahren mehrere Bücher publiziert, vor allem erzählende Prosa, aber auch Lyrik.

Auszug aus „Der Geruch des Ostens“

Und dann springt ihn die Stadt an. Ihre Straßen, deren Namen er alle noch weiß, wie er die Gerüche der Häuser kennt. Aufsteigend vom Wirsingkohl, der mit Kartoffelstücken, Kümmel und Streifen fetten Bauchspecks gedünstet wird. Aufsteigend auch vom brodelnden Waschkessel im Bretterschuppen am Küchengarten, in dem sie im November ein totes Schwein brühen und Wurstsuppe mit Majoran kochen. Sommers die Beize vom schmelzenden Teer auf den Straßen, den die städtischen Arbeiter mit grobem Splitt und Kies befestigen. Der süßliche Dieselgestank der ratternden Russenpanzer und das beißende Gewaber von den grünlich-öligen Spänen, die von den Putzfrauen auf den steinernen Schulfluren ausgestreut werden, bevor sie mit breiten Besen zu fegen beginnen. Der dumpfe Blutdunst vom Schlachthof und der scharfe Rauch aus den Schloten der Metzgereien.

Die ordinären, lüsternen Schwaden der billigen Seifen und Parfüms in der Konsum-Drogerie an der Ecke. Dort, wo er als Vierjähriger mit seinem luftbereiften Roller (das war ein besonderes Ding!) einem alten Herrn von hinten in die Beine gebrettert war, weil er noch nicht zu bremsen gelernt hatte. Die muffige, modrige Kälte der Schlosskirche, wo er den Oberpfarrer vom ewigen Leben und von Verdammnis reden hörte. Die süßen Knospen des feuchten Staubes auf dem heißen Gehsteig, den sie Trottoir nannten, wenn die ersten, schweren Tropfen eines Gewitterregens noch zögernd auf die Steinplatten fielen, bevor sich die Sturzbäche des Wassers ergießen würden. Der verrückt machende Duft des Mädchens, das schräg vor ihm in der Schulbank saß und nichts als ein kurzes Kleid über dem weißen Schlüpfer trug, den er manchmal blitzen sah. Oder gesehen zu haben glaubte, wenn er nachts nicht schlafen konnte. Der Junge ist zu weit, hatte die Mutter einmal zu ihrer Mutter gesagt.

Er stand daneben wie ein Idiot und schwitzte. Auch diesen Geruch spürt er noch. Und er hasst ihn. Einmal würde er etwas ganz Besonderes tun, dachte der Junge damals, einmal würden sie sich alle wundern über ihn: War das nicht der Bengel in den abgetragenen Hosen, die manchmal eine Handbreit zu kurz waren, Hochwasserhosen nannte man die. Bei dir ist wohl Hochwasser? Das Gelächter der Kinder, seine Scham, alles ist aufbewahrt wie die Bilder im Familienalbum, winzige, vergilbte Auf- nahmen auf weißem Papier mit zackigem Rand.