Künstlerische Forschungsprojekte für ukrainische Künstlerinnen

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  • Beitrag veröffentlicht:20. November 2022

Durch Mittel des Fonds Darstellende Künste, weitergereicht über das Netzwerk Freier Theater, fördert das WUK Theater Quartier aktuell vier ukrainische Künstlerinnen im Format „DACH“:
Viktoria Chuiko, Viktoria Uvarova (Tori Joy), Galyna Denysiuk und Oksana Rusina.

DACH – Residenzprogramm des
Fonds Darstellende Künste im Rahmen der UKR-Hilfsmaßnahmen der
Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien.

Viktoria Chuiko

Residenzprojekt „Fragmente im erzwungenen Wandel“

„In diesem Jahr ist Viktoria Chuiko nach der vollständigen Invasion in der Ukraine zum Flüchtling geworden. Da sie viele andere Flüchtlinge traf, tauschten sie Gefühle und Erfahrungen aus, die sie noch nie zuvor erlebt hatten. Trotz der unterschiedlichen Erzählungen stellten sich die Geschichten als sehr ähnlich heraus. Die aufstrebende Filmemacherin Viktoria Chuiko interessiert sich für die Kraft und die Ähnlichkeit dieser Erfahrungen und wird den künstlerischen Forschungsaufenthalt nutzen, um die Themen Veränderung, Unsicherheit, Empowerment, Empathie, Zugehörigkeit und Geschichte zu erkunden.“

Viktoria Chuiko experimentiert mit der Form, die sie am besten kennt, um mit dem Publikum zu kommunizieren: Die Befragung von Kurzfilmen als Medium zur Erforschung von Erzählungen und Techniken, die das Trauma von Krieg und erzwungenen globalen Veränderungen einfangen. Sie erforscht, wie Krieg und globale Veränderungen das Trauma der Vergangenheit aus dem Boden stampfen und wie die Psyche damit umgeht. Und wie man es mit Film ausdrücken kann.

„Fragmente des erzwungenen Wandels“ ist ein Arbeitstitel, der darauf abzielt, eine polyphone Sammlung von Erfahrungen zu kuratieren. Es geht um die Frage, wie man diese Antworten bekommt, wie man Menschen vor die Kamera bekommt und wie gleichzeitig neue Formen der Zusammenarbeit entwickelt werden können. Was bedeutet kollektive Arbeit in dieser Forschung oder könnte sie bedeuten? Und was ist der Unterschied zwischen Zusammenarbeit, künstlerisch oder sozial? Wie würde das Medium Film durch die Arbeit mit analoger Performancekunst an Potenz gewinnen? Ein diffuses Verständnis zu erlangen, indem man die Geschichte nicht wörtlich nimmt, sondern durch Fragmente, Klänge, Bilder, Zufälle – denn so empfinden Menschen ein Trauma.

Abschlussarbeit / Film „Way“ (2018, Kyiv, Ukraine, Ukrainian Film School UFS):
https://youtu.be/BEfU81FRJ4E

Showreel: https://youtu.be/HznhvraO6pY

Musikvideo THE LAZY JESUS – Exit to Enter (2020, Ukraine)
https://youtu.be/DDSBEUxq53I

Biografie Viktoria Chuiko

Viktoria Chuiko ist eine Filmmacherin und ist bereits vier Jahre in der Filmindustrie aktiv. Sie arbeitet hauptsächlich in den Genres Drama und Satire. Mit filmischen Mitteln erforscht sie Menschlichkeit, Absurditäten des Menschseins und die Komplexität von „Identität“. Dabei stehen immer die Verbindung zwischen Umgebung / Gesellschaft und Subjekt im Fokus.  Ihre Filmweise ist orientiert ich an einem natürlichen Blick und authentischem szenischen Erleben.

https://instagram.com/vic_chuii?igshid=YmMyMTA2M2Y=

Viktoria Uvarova / Tori Joy

Residenzprojekt „Heart or Mind“ / „Herz oder Kopf“

Wenn wir erwachsen werden, vergessen wir unsere Träume. Die Gesellschaft, die Familie, die Schule zwingen uns nach bestimmten Regeln innerhalb eines bestimmten Systems zu leben. Ein vernünftiger Mensch strebt immer danach, etwas Neues zu schaffen, die eigenen Talente zu entfalten, auch wenn dafür das Gesetz gebrochen werden muss. Das Ziel des Forschungs-Projekts ist es zu zeigen, dass wir, egal wie schwierig das eigene Schicksal ist, unsere Natur und unsere Träume nicht aufgeben sollten.

In diesem Sinne wird Viktoriia Uvarova mit der Forschungsresidenz ihrem Werdegang nachspüren und neue Formen der künstlerischen Recherche mit Fokus auf Stimme, Schauspiel und Musiktheater-Regie ausprobieren. Wie gelingt eine Annäherung und ein Wachrufen der eigenen Theatererfahrung nach vielen Jahren Musik-Business, Kompromissen, gelebter und aufgeschobener Träume und ungesungener Lieder? Victoria Uvarova beginnt, nach neuen Wegen vom Lied zum Musiktheater zu suchen. Sie entwickelt neue Formen des Geschichtenerzählens, die der Komplexitäten der Gegenwart gerecht werden. Sie experimentiert mit narrativen Formen, die uns einladen, uns unserer eigenen innere Kakophonie der Überwindung von Grenzen und der Konfrontation mit der Angst vor Veränderung zu stellen.Wie gelingt ihr die Fokussierung und Entscheidungsfindung bei einer schier unendlichen Zahl an Ideen, die alle auf ihre Art die Vielstimmigkeit und Vielsprachigkeit unsere Welt einzufangen versuchen? Wie gelingt ihr die Einbeziehung von Kindern als lebende Denkmäler gegenwärtiger und kommender Generationen. Welche Rolle spielt das unfreiwillig, neue Leben in Deutschland?

Biografie

Viktoriia Uvarova, besser bekannt unter ihrem Pseudonym Tori Joy (z.B. Eurovision + Voice of Ukraine), ist nicht nur Singer-Songwriterin und Solistin in versch. Formationen (z.B. bei Carpathiana + Lovers + VSD + tim big family) mit Schwerpunkt auf Pop, RNB + Soul, sondern auch Regisseurin, Musik-, Gesangs- und Videoproduzentin für eigene Projekte (Power of Cover 20-22) als auch u.a. für Diana Gloster (Album, 2019-2022) sowie Olga Rakitskaja (Konzert, 2021).  Wie die aktuelle Lage es zurzeit zulässt, arbeitet sie außerdem als Musiklehrerin u.a. in der von ihr 2017 Mit-Gründerin der Kindergesangschule „TALANT SCHOOL“, um ihre Leidenschaft weiterzugeben und Nachwuchs zu fördern. Sie selbst hat neben Weiterbildungen für Komposition, Soundtechnik und Produktion den Masterabschluss als Lehrerin für Gesang, künstlerische Kultur und Musik. Durch die russische Invasion in der Ukraine lebt sie aktuell mit ihrem Mann und ihren Kindern in Halle (Saale). Im WUK Theater Quartier war sie Teil des Chors der Performance „Hooligan“ der Hooligan Art Community im Mai 2022. Die Theaterbühne kennt sie von ihren Auftritten als Schauspielerin und Solistin bei der Plastikkömodie „Mimi-Richy“ in Spanien, Belgien und den Niederlanden. Mit der Forschungsresidenz wird sie die Erfahrungen aus Theater und Musik zusammenzubringen. 

https://www.instagram.com/torijoymusic/

Galyna Denysiuk

Residenzprojekt „Peace oft he Art“ | „Der Friede der Kunstschaffenden“

In diesem Forschungsprojekt möchte Galyna Denysiuk das „Flüchtlingssyndrom“ untersuchen, das durch die erzwungene Migration aus dem Heimatland verursacht wird. Die aufstrebende Fotografin wird versuchen, den Einfluss des Krieges auf die Gefühle der vertriebenen Menschen aufzuzeigen, auch wenn sie weit von der Front entfernt sind, zu zeigen, wie groß manchmal ihre Selbstvorwürfe sind und wie sie die Welt sehen, zu zeigen, wonach sie suchen.

Es geht um Schuldgefühle, Hilflosigkeit, das Gefühl, die Heimat zu verlieren, und wie sich das auf ihr Alltagsleben auswirkt. Es geht um die Frage, ob die Friedfertigkeit, die Sanftheit des Kunstschaffens in unserem jungen Jahrhundert der Kriege und Katastrophen erhalten werden kann. Ob jede Beschäftigung mit den menschengemachten Abgründen in einem Kunstwerk selbst Risse hinterlässt und so zu einem eindrucksvollen und mahnenden Teil des kollektiven Gedächtnisses wird und bleibt. Oder ob es etwas Friedensstiftendes hat, selbst die schmerzlichsten Erfahrungen in der Kunst festzuhalten. Die Recherche für protraits bringt die Geschichten von Flüchtlingen aus verschiedenen Ländern wie der Ukraine, Syrien oder Georgien ans Licht. Sie wird mit Schwarz-Weiß-Film experimentieren, der gedruckt und mit Farbe eingefärbt wird, um eine Nachahmung der Schöpfung des Lebens zu entwickeln. Sie wird auch mit Farbfilmen arbeiten, die wie Negative gescannt wurden, um die Risse und Unschärfen der Gegenwart in Porträts und Straßenfotos zu finden. Durch das Hinzufügen von Handarbeit auf gedruckten Fotos versucht sie herauszufinden, ob diese Handarbeit hilft, die Hoffnung auf Frieden und die Dringlichkeit der Solidarität zu erfassen und greifbarer zu machen.

Biografie Galyna Denysiuk 

Galyna Denysiuk aus Kiew, Ukraine, lebt derzeit in Berlin. Sie ist freiberufliche Fotografin und angehende Künstlerin. Ihre Arbeit als Flugbegleiterin (vor Beginn der Covid-Quarantäne) half ihr, zu reisen und unseren Planeten und die Menschen zu beobachten. Als Fotografin konzentriert sie sich auf Menschen, ihre inneren Erfahrungen, psychische Gesundheit und die Details, aus denen unsere Welt besteht, die zerbrechliche und kraftvolle Schönheit unserer Welt. Mit ihrer Linse versucht sie, alle Schichten der menschlichen Seele aufzuspüren und sie auf ehrliche Weise zu zeigen. Sie arbeitet gerne mit Film, weil er einen einschränkt und einem gleichzeitig mehr gibt.

Projekt „Unter Gefühlen“. 2021 März. Kiew: Psychische Gesundheit hat sie schon immer beschäftigt, vor allem nach den Ereignissen von Covid – 19. Die Welt hat sich verändert, viele Menschen haben ihre Verwandten oder Freunde verloren, sie haben ihre Arbeit verloren, einige Menschen waren in verschiedenen Ländern während des Lockdowns von ihren Familien, Freunden oder Angehörigen getrennt, einige Menschen saßen zu Hause mit ihren Familien, Freunden, Angehörigen oder einfach nur Nachbarn fest. Das normale Leben der Menschen war nicht mehr dasselbe. Die Ungewissheit dieser Tage wirkte sich auf ihren Gemütszustand aus. In diesem Moment wurde Galyna Denysiuk klar, dass sie diesen Zustand der Gedanken auf künstlerische Weise festhalten und zeigen wollte: Frauen unter Wasser als Verkörperung von Menschen unter Gefühlen, mit Druck auf ihnen, in Zeitlupe, umgeben von Wasser als Zweifel.

Oksana Rusina

Rechercheprojekt: INVASION

Die geistigen und kulturellen Werte, das kulturelle Erbe der Ukraine laufen heute angesichts des Krieges in Gefahr, zerstört zu werden. Wie lässt sich dem mit Kunst entgegenwirken? Für das Zusammenbringen jahrhundertealter Traditionen und Erzählungen mit der kriegszerstörten Realität forscht Oksana Rusina mit ihren Kindern zu mystischen Walderzählungen und magischen Welten, die auch ihre Kindheitserinnerungen prägten. Was ist im kollektiven Gedächtnis der Ukraine verankert und kann gemeinsam wachgerufen werden?

Können beispielsweise Schlaflieder dazu beitragen die ganze Palette der ukrainischen Zauberkraft zeitlos und tausende Kilometer entfernt zu entfalten? Welche Märchen und Erzählweisen machen universell deutlich, was Invasion für eine Gesellschaft, eine Kultur bedeutet? Welche Geräusche und Klänge machen das Ringen um das zu Bewahrende und die Deutung des Zerstörenden verständlich? Ohne zu verklären und zu plakativ zu sein? Wer oder was können Mittler und Protagonisten einer solchen Vergegenwärtigung sein, die zu verstehen geben, dass die Ermordeten auf den Straßen der Ukraine auch all jene darstellen, die NOCH nicht von Krieg betroffen sind? Wo decken sich die kollektives Erinnerungsorte aus Märchen mit denen der russischen Invasion?

Biografie Oksana Rusina

Oksana Rusina ist Schauspielerin in Film, Fernsehen und Theater. Zu ihrer Filmographie gehören „Geburtstag des Bürgers“, 5 Minuten zur U-Bahn“, „Tauwetter“, „Wind im Gesicht“ sowie „Schatten der Vergangenheit“. Im Film „The Touch of Pinzel“, der 2019-2021 im Auftrag des Staatlichen Films und Fernsehens in Kiew, Lviv und Bucha gedreht wurde, ist Schauspielerin und war als Literaturredakteurin tätig. Aus dem Fernsehen ist sie bekannt als Autorin, Regisseurin und Moderatorin von Formaten, wie „Leben im Tanz“ und „Nachtzone“. Zu ihren eigenen Projekten als Autorin gehören „Hungersnot 33“, „Afghanisches Syndrom“, „Wiegenlied von Mutter“ sowie das Musical „Enejida“. In der Nachwuchsförderung war sie bis zur russischen Invasion künstlerische Leiterin des Studierendentheaters der Universität Kiev und des staatlichen Filmstudios sowie Lehrerin an der Schauspielschule. Aktuell ist sie Literatur-Stipendiatin der Kunststiftung Sachsen-Anhalt. Auch wenn sie zuletzt auf Staatsbühnen und im Staatsfernsehen unterwegs war, ist die Freiheit, die eine leere, einfache Bühne der Kreativität verspricht, die die ihr Herz aufgehen lässt. Das Subversive, Vielgestaltige der Freien Szene fasziniert sie nach wie vor und erinnert an ihren Anfang als Schauspielstudentin.